Die erste Kurzgeschichte von Sir Arthur Conan Doyle A Scandal in Bohemia ist geprägt durch den König von Böhmen Wilhelm Gottsreich Sigismund von Ormstein. Außerdem spielt eine gewisse Irene Adler eine zentrale Rolle, da sie die Einzige ist, die Sherlock Holmes ausgetrickst hat. In dem Pastiche Sherlock Holmes and the Hentzau Affair von David Stuart Davies mischen sich Sherlock Holmes Elemente und das fiktive Königreich Ruritanien zu einem neuen Abenteuer um König und Krone zusammen.

Worum geht es? [spoilerfrei]

Colonel Sapt von Ruritanien geht auf Reise nach England, um in einer geheimen, königlichen Mission den Detektiv Sherlock Holmes zu konsultieren. Ohne die Hilfe würde das Land zusammenbrechen ohne König, ohne Stabilität. Sherlock Holmes soll Rudolf Rassendyll ausfindig machen, da er auf mysteriöse Weise verschwunden ist.

Rudolf Rassendyll tritt in besonderer Funktion auf, da er den König von Ruritanien sehr ähnlich sieht. Der eigentliche König ist seit jeher viel zu schwach und leidet unter einer schlimmen Krankheit. Würde Rudolf Rassendyll nicht für den König einspringen, würde Rupert von Hentzau das Land gewaltsam übernehmen und das Königreich zusammenbrechen lassen.

Illustration aus “Prisoner of Zenda”

In den nächsten Wochen steht jedoch ein Treffen mit dem König von Böhmen an und wenn der Rudolf Rassendyll nicht als König in Erscheinung tritt, kommen Zweifel auf. Sherlock Holmes ist also in sehr wichtiger Mission unterwegs. Dazu Reisen die beiden zusammen mit Colonel Sapt nach Ruritanien um das Königreich zu retten und den verschwundenen Rudolf Rassendyll ausfindig zu machen.

Watson schreibt in seinen Memoiren, dass er nicht sicher ist, ob dieser Fall jemals an die Öffentlichkeit gelangen wird… Am Ende kommt jeder Fall ans Tageslicht!

Ein Experte ist am Werk. Das merkt man…

Man merkt sofort, dass mit David Stuart Davies ein absoluter Experte auf dem Gebiet rund um Sherlock Holmes unterwegs ist. Nicht nur der Schreibstil ist sehr ähnlich zu dem Original Sir Arthur Conan Doyle, sondern auch die zahlreichen versteckten Anekdoten zu anderen Sherlock Holmes-Geschichten machen dieses Abenteuer besonders.

Rupert of Hentzau (Anthony Hope)

Der Pastiche Sherlock Holmes and the Hentzau Affair ist eine Mischung aus den Sherlock Holmes Geschichten und den Abenteuergeschichten The Prisoner of Zenda und Rupert of Hentzau. Diese Romane wurden von dem Schriftsteller Anthony Hope 1894 und 1898 erfunden. Dabei ist Ruritanien ein fiktives Königreich, welches in den zahlreichen Fortsetzungen immer wieder verwendet wurde. Dieses Königreich dient also als Projektionsfläche und “Spielplatz” für zahlreiche Gedankenspiele.

Das Thema um König und Königreich lehnt sich natürlich stark an A Scandal in Bohemia an. Obwohl die Handlung der Kurzgeschichte in Großbritannien spielt, wird diese in der Hentzau Affäre ausgeweitet auf das Königreich Ruritanien. Die versteckten Hinweise aus dem Pastiche lehnen sich daher stark an die Kurzgeschichte von Conan Doyle an.

Die Figuren der Geschichten sind in dem Pastiche selbst recht eindimensional und klar hierarchisch klassifizierbar. Wir haben den Colonel, den König, die Königin Flavia und den Widersacher Rupert Hentzau.

Zitate aus dem Pastiche

In dem Pastiche Sherlock Holmes and the Hentzau Affair spielt die Verkleidung von Sherlock Holmes eine zentrale Rolle. Ohne hier weiter zu spoilern bringt es die Lösung des Falls. Aufgrund der treuen Erzählperspektive durch John Watson bot es sich an einige wichtige Informationen dem Leser vorzuhalten. Watson spricht dies auch direkt in dem Pastiche an:

It was one of Holmes’ most annoying traits that he would keep vital information to himself until it suited him to reveal is, usually at a moment when he would create the most dramatic effect. (siehe S. 33)

Und genau das ist doch auch ein zentrales Erkennungsmerkmal der Originalgeschichten. Diese Erzähltechnik wird in der Hentzau Affäre kontinuierlich durchgezogen und der Leser fühlt sich häufig überrascht.

[SPOILER] Auch das großartige 13. Kapitel ist mir besonders in Erinnerung geblieben, bei der Rudolf Rassendyll durch einen genialen Trick befreit wird. Dabei hat Watson eine große Anteilnahme…

A Scandal in Bohemia und The Empty House

Es gibt Bezüge zu A Scandal in Bohemia und The Empty House, die mehr oder weniger offensichtlich sind. Der ganze Pastiche zielt im Grunde auf das Treffen mit dem König von Böhmen ab. Sherlock Holmes muss es rechtzeitig schaffen Rudolf Rassendyll zu befreien, damit er sich mit dem König treffen kann. Dabei spannt Davies den Bogen zu der Kurzgeschichte:

It may be remembered that Sherlock Holmes had encountered the Bohemian monarch a few years earlier when the King had enlisted the detective’s services to retrieve a compromising photograph from a former mistress. (siehe S. 115)

Zu der Kurzgeschichte The Empty House spannt David Stuart Davies den Bogen zu dem Thema Verkleidung bei Sherlock Holmes:

Holmes’s capacity for disguise was a constant source of amazement and surprise over the years. I well remember with that startling effect he confronted me, in my own house, in the character of an old bibliophile. It was on that occasion that, for the first and last time in my life, I fainted. (siehe S. 106)

Die Anspielungen zu den Originalgeschichten sind niemals plump, langweilig oder lächerlich. Sie werden dezent und sinnvoll eingesetzt. Ein Genuss zum Suchen beim Lesen des Pastiche. Natürlich gibt es auch die üblichen Verdächtigen wie z.B. The Game’s afoot. Dieser darf niemals fehlen!

Für wen geeignet?

Beim Lesen hat mich das Thema rund um das Königreich Ruritanien und dem ersetzten König nur bedingt angesprochen. Auch wenn nach meinem Empfinden der Pastiche realistisch und glaubwürdig erzählt wurden, haben mir die herausstechenden Figuren gefehlt. Ich glaube nach ein paar Wochen, nachdem ich die Geschichte gelesen habe, werde ich diese leider wieder vergessen.

Jedoch gibt es zahlreiche Fans rund um die Romane von Anthony Hope (The Prisoner of Zenda oder Rupert of Hentzau). Mit diesem Hintergrundwissen kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das Erlebnis ein komplett anderes ist. In dem Pastiche wird man sofort hineingeworfen. Mit dem Hintergrundwissen findet man sich in den Strukturen und den Figuren sofort zurecht. Da ich dieses Hintergrundwissen aber nicht hatte, war es für schwierig mich in den Figuren hineinzuversetzen.

Fazit

Der Pastiche Sherlock Holmes and the Hentzau Affair ist eine sehr hochwertig geschriebene Sherlock-Holmes-Geschichte. Mit seiner Länge von rund 120 Seiten bietet diese eine wirklich tolle Abwechslung zu dem nebeligen London hin zu einem unbekannten Ruritanien. Aufgrund der sehr treuen Strukturweise, dem ähnlichen Schreibstil und den zahlreich-passenden Andeutungen zu anderen Sherlock Holmes Geschichten bietet der Pastiche  eine gute Unterhaltung für jeden Sherlock Holmes Fan.

+ sehr authentische Welt von Sherlock Holmes (“Ton” von Conan Doyle)

+ viele Referenzen zu “alten” Abenteuern

+ Erzählstruktur und Spannung

+ ausführliches und spannendes Ende

Längen gerade am Anfang des Pastiches

eindimensionale Figuren

   

(4 von 5)


Quellen:


Weitere Reviews findest du, wie immer, hier.

 

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