Der zweite Streich den berühmten Meisterdetektiv in die Moderne zu versetzen. “Tödlicher Stoff”, der zweite Teil der Sherlock-Holmes-Reihe von Beate Baum. Das dazugehörige Interview findet ihr im #58 SherlockSunday! Jetzt gibt es die Rezension dazu!

Worum geht es? [Spoilerfrei]

Wer sich (nochmal) im Vorfeld mit dem ersten Teil informieren möchte, dem sei meine #4 Review: Mycrofts Auftrag ans Herz gelegt.

In dem Interview im #58 SherlockSunday mit Beate Baum hat die Autorin den Roman mithilfe von 5 Begriffen beschrieben: (a)soziale Medien, Obdachlose, gute Absichten, Profitgier, Brexit.

Der Klappentext lautet wie folgt:

“John Watson traut seinen Augen nicht: Sherlock Holmes vergeudet seine Zeit im Internet mit Facebook & Co? Immerhin treibt ihn der Fall der toten Obdachlosen hinaus auf Londons Straßen.
Mycroft Holmes ist mit den Folgen des Brexit-Entscheids geplagt. Er braucht Sherlocks Hilfe, um das Schlimmste zu verhindern. So geraten der Detektiv und John in ein edles Landhotel. Wo auch BBC-Reporterin Deborah Bellamy mit von der Partie ist. Im Doppelzimmer mit Sherlock Holmes?”

Sherlock Holmes verbringt sehr viel Zeit mit Facebook & Co., den sogenannten “neuen” Medien, zur Informationsbeschaffung. Für Sherlock scheint es zunächst eine neue Form der Sucht zu sein, die John Watson erneut aus medizinischer Sicht bedenklich findet.

Tote Obdachlose werden auf den Straßen Londons gefunden, die rätselhaft gestorben sind. Fremdeinwirkungen können nur sporadisch von der deutschen Pathologin Ethel Schafter ausgemacht werden. Wer also tötet unschuldige Obdachlose?

Weiterhin gibt den aktuellen Umbruch des Landes durch den Brexit, bei der der Bruder von Sherlock Holmes, Mycroft Holmes, alle Hände voll zu tun hat. In diesen Zeiten herrscht Ungewissheit und sollte in diesem Roman als “Grundgerüst”  immer im Hinterkopf behalten werden. Die Profitgier ist sozusagen eine Konsequenz dieses Umbruchs und der Tötung der Obdachlosen. Das mag nun kryptisch sein, kann aber ohne Spoiler nicht näher beschrieben werden!

“Mycrofts Auftrag” und “Tödlicher Stoff”

Referenzen zu Sherlock Holmes

Wie immer üblich ist die Suche nach Referenzen bei neuen Büchern ein zentraler Aspekt von Sherlock-Holmes-Fans. An einigen Stellen waren diese offensichtlicher und manchmal auch versteckter. Natürlich findet man das übliche The Game’s afoot in abgewandelter Form: “Auf, auf! Das Spiel geht weiter!” (S. 55). Aber auch der Referenz auf A Study in Scarlet bezüglich der Interessen und Kenntnisse von Sherlock Holmes hat mir gut gefallen. Dort beschreibt Watson Sherlock Holmes mithilfe verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen (1. Knowledge of Literature.—Nil. 2. Philosophy.—Nil. 3. Astronomy.— Nil. 4. Politics.— Feeble. usw.). Beate Baum beschreibt dies folgendermaßen:

“Von Philosophie hatte der Freund so gut wie keine Ahnung, ebenso wie von Literatur.” (S. 155)

Indirekt gibt es zwar keine exakten Zitate aber Ideen aus dem Kanon. Die Verwendung von Symbolen zur Kommunikation erinnert mich an The Dancing Men oder auch an BBC Sherlock (Der blinde Banker). Baum verwendet dies ebenfalls in ihrem Roman “Tödlicher Stoff”.

Für mich ganz klar die beste Referenz zu Sherlock Holmes war der Bildschirmschoner von Sherlock’s Laptop. Als Watson den Laptop in die Hand beschreibt er den Standbymodus: “[…] kleine Jagdmützen treiben über den Bildschirm” (S. 66).

Wahrscheinlich gibt es noch einige Zitate bzw. Referenzen mehr.

Gedanken zum Buch “Tödlicher Stoff”

Wenn man den ersten Teil “Mycrofts Auftrag” gelesen hat, so findet man sich schnell im zweiten Teil zurecht und die Figuren Shinwell JohnsonEthel Schafter und Deborah Bellamy sind bereits hinreichend bekannt. Auch der Schreibstil ist gewohnt flüssig und locker.

Weiterhin finde ich die Verwendung von aktuellen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen sehr gelungen, da es die “Grundatmosphäre” des Krimis legt. Während es im ersten Teil noch die Wirtschafts- und Finanzkrise war, beschäftigt sich Baum nun mit dem Brexit. Spannend zu sehen, wie Sherlock und John sich in dieser aktuellen Lage zurechtfinden.

Weniger Referenzen zu alten Abenteuern?

Im Gegensatz zum ersten Teil habe ich leider “weniger” Referenzen zu alten Sherlock-Holmes-Abenteuern gefunden. Trotzdem finden sich klassische Merkmale wie das Täuschen von Personen (durch z.B. Verkleidung, Stimmenimitation), das Spielen von Geige oder auch der Verweis auf die neue Droge “Internet” wieder. Jemand, der nicht jede “alte” Geschichte gelesen hat, dem reicht das aber locker!

Vielleicht habe ich aber auch Bezüge zu klassischen Abenteuern übersehen! Dafür bin ich dann doch noch nicht so lange dabei!

Was mich am ersten Teil “Mycrofts Auftrag” gestört hat, war die Person Mary, die zu viel Präsenz hatte. Diesmal ist sie auf Reise und hat daher keine aktive Präsenz.

Im Vergleich zu “Mycrofts Auftrag”

Kritisiert hatte ich im ersten Teil auch das abflachende Ende. Das kann man von “Tödlicher Stoff” nicht behaupten, da das Ende spannend war und die Überführung des Täters/der Täterin bis zum Ende offen war. Bezüglich der Struktur des Buches fand ich die mysteriösen Tode der Obdachlosen sehr gelungen, den Mittelteil ein wenig zäher und das Ende gut abgerundet.

Der Rückzugsort zum Nachdenken ist meist 221B Baker Street. Ich fand es gelungen, dass Baum nach neuen Informationen, neuen Hinweisen sehr häufig den Rückzugsort der vertrauten Adresse gewählt hat.

Zunächst ein wenig schwierig fand ich die Vielzahl an Personen, die der Krimi Tödlicher Stoff hat, welches aber im Nachhinein dem Buch gutgetan hat, da man nicht so schnell ausschließen konnte, wer nun hinter den Taten steckt. Aber gerade am Anfang war das Beziehungsgeflecht doch komplexer als gedacht. Wenn man sich aber darauf einlässt, wirken die Figuren nicht einfach nur lieblos eingesetzt, sondern viele Figuren geben entscheidende Hinweise zum Finale.

Um den Bogen zu den 5 Begriffen zur Beschreibung von “Tödlicher Stoff” zu spannen, sehe ich es als gelungen an, wie die Themen logisch verknüpft wurden und die aktuelle Brisanz vom Brexit bis zum Ende mir noch ein wenig unschlüssig erschien. Das Ende lässt aber nach meiner Auffassung keine Fragen offen.

Für mich persönlich…

Für mich persönlich war “Tödlicher Stoff” noch ein wenig besser als der erste Teil “Mycrofts Auftrag”, da mir die Thematik besser gefallen hat und viele Aspekte noch bis zum Schluss mysteriös erschienen.

Wer also den ersten Teil mochte, der kann ganz klar zugreifen. Ebenso zugreifen kann jeder der den modernen Sherlock mag und Krimis mit aktuellen Themen mag.

+ Aktuelle Brisanz des Brexit mit Sherlock Holmes

guter Einstieg, zäher Mittelteil, starkes Ende

flüssiger Schreibstil mit einem ständig “hungrigen” Watson!

 weniger Referenzen zu alten Abenteuern? (meckern auf hohem Niveau als Sherlockianer!)

– viele Figuren, bei dem man sich als Leser gut aufpassen muss (wird aber im Laufe des Buches einfacher)

   

(4 von 5)


Baum, Beate. 2018. Tödlicher Stoff: Ein Sherlock-Holmes-Krimi. Oktober Verlag.


Weitere Reviews findest du, wie immer, hier.

 

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