Es gibt Sherlock-Holmes-Bücher, die liest und genießt man, und dann gibt es Bücher, die für die Recherche notwendig sind. Jeder Verfasser sollte ein Holmes-Lexikon in seiner Sammlung haben. Gilt dies auch Jack Tracy’s Encyclopedia?

Einleitende Worte von Jack Tracy

Bevor ich zum eigentlichen Kern des Buches The Encyclopedia Sherlockiana komme, lohnt es sich sich zunächst auf die Introduction zu schauen, um die Absicht und Struktur des Buches zu beschreiben. Auch wird die Sichtweise über die Welt von Sherlock Holmes von Jack Tracy in der Einleitung deutlich.

Tracy beginnt den ersten Satz gleich mit einem Vergleich:

„Only twenty years ago a book like this would have been absurd.“ (S. VII)

Tracy spielt hier auf die populäre Wissenschaft in dem Gebiet Sherlock Holmes an, die Wissenschaft über den Detektiv sozusagen. Wozu braucht man ein Lexikon mit allen Straßennamen, Figuren und Erklärungen? Natürlich für Verfasser von Sherlockiana, die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sherlock Holmes! Es wird in dieser Einleitung ganz schnell deutlich, was Tracy von Sherlockiana hält und das er jeden stereotypischen Holmes ablehnt:

„After the silly perversions of the Holmes image by such as William Gillette and Basil Rathbone (Holmes as a tightlipped deering-doer, Watson as comic sidekick, and performances all round by writers and actors, of one didn’t know better, you could swear never read a line of Holmes), there is a definite revival of interest in the great detective as a literary, and not a cinematic, figure.“ (S. IX)

Auszug aus “The Encyclopedia Sherlockiana”Puh! Das ist mal ein klares Wort gegen den filmischen Sherlock Holmes! An dieser Stelle finde ich die eigene Meinung doch sehr kritisch aber deutlich formuliert. Hier kann man natürlich anderer Meinung sein. Ich für meinen Geschmack bin eher für eine offenere Diskussion und gebe jeder Darstellung eine Chance, solange die Begründung nachvollziehbar ist.

Es gibt in diesem Buch dementsprechend also keinen Eintrag von Deerstalkern, Inverness Capes oder der Meerschaum Pfeife, was natürlich auch richtig ist, betrachtet man nur den Kanon. Dies betrifft natürlich auch den berühmten Spruch: Elementary, my dear Watson. Eine gute und richtige Entscheidung.

Der Sinn und Aufbau von The Encyclopedia Sherlockiana

Jack Tracy sieht den Sinn in der exakten Dokumentation aller Orte, Figuren, Gegenstände usw. und damit als ein Begleit- und Nachschlagebuch zum Kanon von Arthur Conan Doyle. Dabei fokussiert sich Tracy nur auf die Fakten in dem Kanon, versucht viktorianische Fakten aus der Sicht der Zeit zu vermitteln und trennt hier ganz klar fiktionale bzw. Ungereimtheiten. Auch hier ist Tracy’s Ansicht bestimmend:

„The cult of ‚Sherlockiana‘ is a high-camp intellectual joke in which fact and fiction must be confused as thoroughly as possible.“ (S. x)

Also ein sehr exaktes Werk basierend auf Fakten, um den „Spaß“ der Sherlockiana entgegenzuwirken. Dazu muss man laut Tracy sehr genau arbeiten, um nicht fiktionale Elemente in die Fakten einzubauen.

Jeder Eintrag besteht aus drei Teilen:

  1. definition = einzelner Satz, die das Thema definiert
  2. exposition = weitere Information, falls notwenig
  3. reference = „Vier-Buchstaben-Code“ mit der Abkürzung der Geschichte

Damit Tracy die fiktionalen von den faktischen Elementen trennt, haben einige Einträge auch einen Stern (*), bei der es zwar eine Beschreibung gibt, aber z.B. ein Straßenname nicht existiert.

Fünf Beispiele aus The Encyclopedia Sherlockiana

Ich habe versucht in diesem Teil ein paar exemplarische Einträge auszuwählen, um die Vielfalt von The Encyclopedia Sherlockiana abzubilden.

Daily Chronicle

a London morning newspaper, independently Liberal in tone, established 1877, which has swiftly taken rank among the leading London dailies. Watson read accounts of the cardboard box (CARD) and the Silver Blaze (SILV) affairs in the Daily Chronicle, and Mary Sutherland advertised for Hosmer Angel here (IDEN). (S. 96)

Mastiff

a large dog of the hound group. Holmes deduced that Mr. Mortimer’s dog was smaller than a mastiff (HOUN). Jephro Rucastle owned such a dog (COPP), and Stapleton’s giant hound appeared to be a combination of the mastiff and the bloodhound (HOUN). (S. 236)

Pince-Nez

(pans’nay), eyeglasses which are lacking ear-pieces and are kept in place on the nose by a spring. John Openshaw wore a pince-nez (FIVE), and Holmes deduced that Mary Sutherland wore one from the dint at either side of her nose (IDEN). Professor Coram’s wife Anna wore a golden pince-nez which became a valuable clue in the Wiloughby Smith murder (GOLD). (S. 284)

Scott Eccles, John

the man chosen by Aloysius Garcia to unwittingly provide an alibi for Garcia’s murder of Din Murillo. Suspected in Garcia’s own death, he engaged Holmes to investigate (WIST). (S. 323)

Whisky

Holmes treated himself to a whisky-and-soda following his first interview with Lord Robert St. Simon (NOBL) and after the taking of John Clay (REDH). He offered Lestrade a whisky-and-soda (NOBL), whisky and water to Jonathan Small (SIGN) and Inspector Gregson (STUD). There was a tantalus containing brandy and whisky in Peter Carey’s cabin (BLAC). (S. 394)

Wie die Beispiele bereits zeigen, sind die Einträge sehr detailliert und geben zu jedem Zeitpunkt die Quelle der Geschichte an. Gerade bei „Gegenständen“ wird der Detailreichtum deutlich, in dem Jack Tracy exakt auflistet, wer z.B. eine Pince-Nez trägt. Ganz großes Kino!

Zwei Editionen?

Im Internet findet man unter dem Namen Jack Tracy und Encyclopedia gleich zwei Versionen:

Das Wichtige gleich vorweg: Ich habe beim groben Vergleichen beider Versionen (habe beide Versionen in meiner Sammlung) keine großen Unterschiede feststellen können. Beim groben Suchen von Einträgen sind auch die Seitenzahlen exakt gleich. (Berichtet bitte, wenn es nicht der Fall ist!)

Klappt man das Buch The Encyclopedia Sherlockiana auf, so befindet dort gleich eine Karte von „Sherlock Holmes’s London“ und am Ende befindet sich dann noch eine weitere Karte mit „London and Evirons“. In The Ultimate Sherlock Holmes Encyclopedia steht auch auf dem Cover direkt: „Originally published as The Encyclopedia Sherlockiana. Wenn man die Chance hat zwischen beiden Ausgaben, so würde ich definitiv zu The Encyclopedia Sherlockiana greifen, da das Papier (zumindest in meinen Ausgaben) deutlich glatter und von besserer Qualität ist. Auch finde ich das Cover eindeutig klassischer als die neuere Version. Komischerweise, und das habe ich mehrfach überprüft, sind beide Editionen von 1987. The Encyclopedia Sherlockiana wurde ursprünglich 1977 veröffentlicht.

Abschluss und Verwendung

The Encyclopedia Sherlockiana ist einfach großartig! Jeder Sherlock-Holmes-Fan und Verfasser von Artikeln sollte eine (Sammler natürliche beide!) dieser Ausgabe in seiner Sammlung haben. Ich benutze The Encyclopedia Sherlockiana immer wenn ich etwas zu einer Geschichte recherchieren muss. Reihenfolge ist immer so: Zuerst Baring-Gould’s Annotated Sherlock Holmes und dann Jack Tracy’s The Encyclopedia Sherlockiana. Einfach ein Klassiker! Im Vergleich zu Orlando Park’s The Sherlock Holmes Encyclopedia würde ich immer Jack Tracys Ausgabe bevorzugen. Hier der Link zu meinem Review zu Orlandos Ausgabe.

Der Detailreichtum ist einfach immer sehr faszinierend und die gegebenen Verknüpfungen sind einfach hilfreich. Anhand dieser Fülle könnte man jetzt bereits einen kurzen Bericht über „Whisky und Sherlock Holmes“ schreiben.

Selbstverständlich ist es (zumindest für mich) keine „Bettlektüre“, die man genüsslich im Bett genießen kann. Es ist ein Nachschlagewerk, aber was für ein grandioses!

++ sehr umfassendes, detailversessenes Wörterbuch

+ Bilder/Karten zur Unterstützung

Einleitung von Jack Tracy hat eine sehr deutliche Meinung zu dem “filmischen” Holmes

+ aber trotzdem: bezieht sich nur auf den Kanon (Fakten statt Fiktion)

   

(5 von 5)


Tracy, Jack. 1987. The Ultimate Sherlock Holmes Encyclopedia. Gramercy.

Tracy, Jack. 1987. The Encyclopedia Sherlockiana. Avenel Books.


Weitere Reviews findest du, wie immer, hier.

 

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