Der Artikel “Sherlock Holmes in Schweden” wurde im Baker Street Chronicle Ausgabe 23/2016 veröffentlicht und kann hier bestellt werden.


Vom Sinn einer Gesellschaft

Die Zusammenkunft von Sherlockianerinnen und Sherlockianer findet auf der ganzen Welt in unterschiedlichen Gesellschaften statt, die alle ein gemeinschaftliches Interesse verfolgen: Die Aufrechterhaltung von sherlockianischen Traditionen, das Pflegen von Sitten und Gebräuchen und das Weitergeben an weitere Generationen zur Konservierung einer Zeit, die bereits seit 130 Jahren vorbei ist. Die Welt der Sherlockianer, Watsonians und Doyleans ist eine komplexe Erfassung all dieser Einzelheiten. Eine Gesellschaft von verschiedenen Experten schafft eine Gemeinschaft, bei der jeder seinen Teil seines Wissens beitragen kann. Der Kanon bildet das Ausgangsmaterial für einen gemeinsamen Nenner, der auf unterschiedlichste Art und Weise interpretiert werden kann und auch sollte.

Im Falle von geographischen und kulturellen Unterschieden bilden sich auf der ganzen Welt verschiedenste Gesellschaften, die das Universum des Sherlock Holmes von verschiedenen Blickwinkeln erforschen. Wie der Protagonist selbst, studieren Kenner jene viktorianische Welt auf seine kleinsten Nuancen und Facetten und konservieren den Gedanken an einem Mann, der nie gelebt hat aber auch nicht sterben kann. Dabei nehmen sich Gesellschaften gerne Feinheiten aus dem Kanon, um der Gesellschaft einen Namen zu geben und eine Abgrenzung zu anderen Expertengruppen zu schaffen.

The Baskerville Hall Club of Sweden (BHC)

Seit 1979 das Logo des Baskerville Hall Club of Sweden

Im Falle einer kleinen Gesellschaft im flächenmäßig großen Schweden wurde 1979 ein Club gegründet, der sich bis heute The Baskerville Hall Club of Sweden (BHC) nennt. Das mächtige Anwesen des Sir Henry von Baskerville ist ein Abbild einer kleinen Gesellschaft bei der sich Sherlockianerinnen und Sherlockianer treffen und ihrer Vorstellung von Sherlock Holmes in Schweden ein Gesicht geben.

Der Club entstand in einer Zeit, in der es keine Gesellschaft mehr gab und der Schwede Claes-Peder Sahlin gründete diesen Club mit einer anderen Intention. Der Club sollte zunächst nicht über Sherlock Holmes handeln, sondern über Phantom (schwedisch: fantomen), einem amerikanischen Comic-Superhelden. Bevor der 17-jährige Claes-Peder Sahlin den BHC 1979 gründete, gab es The Solitary Cyclists of Sweden, der von 1963-1973 der Ansprechpartner für Sherlockianer war. Deren Zeitschrift The Baker Street Lantern erschien in 11 Ausgaben und wurde 1973 mit der Gesellschaft eingestellt. Diese Lücke galt es nun ab 1979 mit dem BHC zu füllen.

Eine schillernde und wichtige Person, die in den laufenden Jahren dazu kam ist der Sherlockianer Ted Bergman, der der Gesellschaft durch eine Vielzahl von Publikationen dem schwedischen Zusammenschluss den nötigen Durchbruch beschaffte. Nach zahlreichen Publikationen in Schweden und seiner Übersicht der schwedischen Welt des Sherlock Holmes, publizierte er eine Bibliographie über „Sherlock Holmes in Schweden“ (orig. Sherlock Holmes i Sverige), der Publikationen von Artikeln, Dokumenten und Illustrationen über Sherlock Holmes in Schweden zusammenfasst. Im Jahr 1988 übernahm Anders Wiggström das Amt des leitenden Redakteurs vom Baskerville Hall Club of Sweden, welches er bis heute noch führt. Neben Ted Bergman etabliert sich auch der Schwede Mattias Boström in der schwedisch-sherlockianischen Welt und wurde mit seinem Buch “Från Holmes till Sherlock” (im deutschen erschienen unter dem Titel: Von Mr. Holmes zu Sherlock: Meisterdetektiv. Mythos. Medienstar.) berühmt.

The Moor

Für die Repräsentation einer Gesellschaft dient eine sherlockianische Zeitschrift oder Magazin, welches die aktuellen Neuigkeiten und Erkenntnisse aufzeigt. Ähnlich wie im ‘Baker Street Chronicle’, können Interessierte ihre Gedanken niederschreiben, neue Denkanstöße geben und ihren eigenen sherlockianischen Schwerpunkt festlegen.

Beim Baskerville Hall Club of Sweden ist dies das Magazin The Moor, welches seit dem November 1979 herausgegeben wird. Die Mitgliederzeitschrift wird viermal pro Jahr herausgegeben und aktive Mitglieder können, ähnlich wie im BSC, interessante Artikel einschicken. Diese Artikel können sowohl über den Autor Sir Arthur Conan Doyle selbst aber auch über mediale Themen des Bereichs Sherlock Holmes handeln. Für die Archivierung wird The Moor an neun Bibliotheken in Schweden und zwei Bibliotheken in den USA geschickt. Um der Zeitung ein breiteres Publikum zu geben, wurde in einigen Ausgaben eine englische Zusammenfassung hinzugefügt. Des Weiteren gab es zwei Extraausgaben in Englisch: The Moor International No 1 (1980) und No 2 (1983). Ähnlich wie im DSHG wird zur Finanzierung des Magazins der Mitgliedsbeitrag in Höhe von 200 Schwedische Kronen (rund 21€) verwendet.

Im Jahr 2015 hat Ted Bergman ein ‘Index’ von The Moor herausgegeben, um die zahlreichen Artikel des Magazins zu sortieren. Dies beinhaltet die Ausgaben Nr. 1-118 und ist nach verschiedenen Rubriken, wie Kanon, Film, Biographien etc., sortiert. Ein Personenregister ist am Ende ebenfalls vorhanden, das alle Autoren alphabetisch sortiert.

Mattias Boströms „Från Holmes till Sherlock“

“Für Philipp mit den wärmsten Sherlock Holmes Grüßen von dem Autor Matthias B.”

Im Jahre 2013 erschien unter dem Titel Från Holmes till Sherlock Mattias Boströms Erstlingswerk, in der es weniger um die Kanonfigur Sherlock Holmes geht, sondern um die Menschen und Vorbilder hinter dieser Figur. Das Buch erfasst den Ursprung der Erschaffung durch Sir Arthur Conan Doyle, die Gründe für das turbulente Leben und tragische Sterben der Figur, das anschließend komplexe Erbe für die geschaffene Marke Sherlock Holmes und die damit verbundenen rechtlichen Verwaltungen durch sherlockianische Gesellschaften.

Im dritten Teil des Buches zeigt Boström verschiedene Interpretationen der Figur im intermedialen Kontext und deren Einfluss auf die Welt des Sherlock Holmes, bei er eher stereotypisch und schablonenhaft wahrgenommen wird (Stichwort: Deerstalker und Inverness Cape). Durch die schablonenhafte Repräsentation von Sherlock Holmes der intermedialen Wahrnehmung entsteht keine komplexe und tiefgründige Figur. Dabei steht der Titel im übertragenen Sinne (Von Holmes zu Sherlock) für den Wandel der traditionellen, viktorianischen und kanonischen Figur hin zu einer persönlichen und modernen Interpretation durch Gatiss und Moffat in das 21. Jahrhundert. Insbesondere für das weitere Studieren der sherlockianischen Welt bietet das Werk 50 Seiten mit grundlegenden aber auch spezifischen Literaturhinweisen, die es wert sind zu erforschen. Der Autor Mattias Boström selbst ist ein aufstrebender Sherlockianer und eine der führenden skandinavischen Sherlock Holmes Kenner.

Nachdem 2015 Walter Elliot, ein regionaler Historiker, angeblich ein verschollenes Manuskript einer weiteren Sherlock Holmes Geschichte gefunden hatte, war Mattias Boström einer der ersten, der dieses Manuskript als falsch deklariert hat. Mattias Boström und Matt Laffey publizierten im Wessex Press 2015/2016 zwei Monographien über Sherlock Holmes und Conan Doyle in Zeitungen (Sherlock Holmes and Conan Doyle in the Newspapers Vol. 1 & Vol. 2) mithilfe er diese Behauptung widerlegte. (vgl. Boström. 2015. “Conan Doyle Didn’t Write the Lost Sherlock Holmes Story.”)

Im Jahre 2007 wurde er in die prestigeträchtige Gesellschaft der Baker Street Irregulars aufgenommen, wo seine Texte über den Detektiv zahlreiche Auszeichnungen bekommen haben. Es macht einfach Spaß seine maximal 140 Zeichen bei Twitter unter dem Account @mattias221b zu verfolgen, die einem neue Denkanstöße und Blickwinkel geben.

Mitgliedschaft im BHC

Für die Mitgliedschaft im BHC wird ein Eingangstest gefordert, bei der grundlegende Inhalte rund um die Welt des Sherlock Holmes abgefragt werden. Auch wenn dies zunächst recht schwierig klingt, sind die Fragen für einen Sherlockianer recht einfach (siehe Internetseite “Bli Medlem”)!

In früheren Jahren, als mein Großvater Karl-Göran Jonsson in den 80er Jahren Mitglied werden wollte, gab es einen weit aus schwierigeren Eingangstest. Nun muss man sich vorstellen, dass dies ohne das Wissen des Internets gelöst und der Kanon zurate gezogen werden musste.

Mein Großvater musste nahezu alle Kurzgeschichten und Romane erneut lesen, um einige schwierigere Fragen des Kreuzworträtsels zu lösen. Da er aber nicht alle Lösungen hatte, schickte er einen Brief an die Baker Street in London, um Antworten auf diese Fragen zu finden, da er Angst hatte kein Mitglied zu werden. Zu dieser Zeit gab es in der Baker Street einen Sekretär, der die Briefe öffnete und beantwortete. Einige Wochen später bekam Karl-Göran Jonsson einen Brief zurück, der die notwendigen Lösungen beinhaltete. Glücklich schickte er sein vollständig ausgefülltes Kreuzworträtsel an den BHC und wurde letztendlich Mitglied. Da wusste er aber nicht, dass es kein Problem war, wenn man nicht alle (besonders die schwierigeren Fragen) nicht beantworteten konnte. Mein Großvater ist nun seit ungefähr 30 Jahren Mitglied beim BHC.

Am 6. Januar, dem alljährlichen Geburtstag von Sherlock Holmes, treffen sich die sherlockianischen Mitglieder des BHC in Stockholm, um ihre alljährliche Mitgliederversammlung zu veranstalten. Neben zahlreichen Tagespunkten für die weitere Planung, gibt es eigenständige, sherlockianische Rituale. Anschließend gibt es eine Bücherversteigerung von sherlockianischen Schätzen unter den Mitgliedern, die sich im Laufe des Jahres angesammelt haben. Neben dem Redakteur Anders Wiggström ist Mattias Boström ständiger Begleiter dieser Versammlung.

Neben dem BHC gibt es noch zahlreiche, kleinere Gesellschaften, die teilweise Splittergruppen des BHC sind. Nennenswert sind an dieser Stelle The Fierce Badgers of Ystad und The Diogenes Club of Gothenburg.

Auch wenn das Land flächenmäßig sehr groß ist, beträgt die Mitgliederzahl von The Baskerville Hall Club of Sweden laut der Webseite gerade einmal: 98 Mitglieder.

Hier sind einige interessante Links für weitere Informationen über die schwedische, sherlockianische Szene (auch wenn sie in schwedisch sind):

http://baskervillehallclubsweden.webs.com (Webseite des BHC)

www.sherlockholmes.se (Matthias Boströms Webseite)

goto.glocalnet.net/tedbe/ (Ted Bergman Archives)

https://sherlockholmesisverige.wordpress.com (Sherlock Holmes in Schweden)


Quelle:

• Boström, Mattias. 2015. “Conan Doyle Didn’t Write the Lost Sherlock Holmes Story”. in: <http://www.ihearofsherlock.com/2015/02/conan-doyle-didnt-write-lost-sherlock.html#.V7f4u2VaM1h> (Zugriff: 12. August 2017).

Alle Bilder/Scans in diesem Beitrag wurden von “The Baskerville Hall Club of Sweden” genehmigt.

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