Der Artikel „The Unique Hamlet: Ein Büchersammler und sein Pastiche“ wurde in Ausgabe 25 Sommer 2017 des “Baker Street Chronicles” veröffentlicht. Die Ausgabe kann hier bestellt werden:

Aufgrund der Länge werde ich meinen Beitrag der Ausgabe in zwei Teile aufteilen.


The Unique Hamlet is described by Sherlockians for decades as the best pastiche ever written.

Einleitung

Charles Vincent Emerson Starrett (1886-1974) war einer der größten amerikanischen Büchermenschen und für viele Sherlock-Holmes-Enthusiasten einer der wichtigsten Sherlockianer aller Zeiten. Sein Buch The Private Life of Sherlock Holmes (1933) verhalf dem Phänomen Sherlock Holmes erst zu zahlreichen Gesellschaften und ihrer Wissenschaft. Starrett war Mitglied der berühmten Sherlock Holmes Gesellschaft The Baker Street Irregulars.

Vincent Starrett ist Autor unzählbarer Aufsätze, Biografien und zahlreicher Detektivromane. Murder on „B“ Deck (1929), Dead Man Inside (1931) und The End of Mr. Garment (1932) sind nur einige Kurzgeschichten aus der gesamten Liste. Die 1934 veröffentlichen Kurzgeschichte Recipe for Murder wurde auf einen kompletten Roman The Great Hotel Murder (1935) erweitert und im gleichen Jahr noch mit Edmund Lowe und Victor McLaglen verfilmt.

Mit seiner Autobiografie Born in a Bookshop reflektiert Vincent Starrett sein Leben als Büchersammler. Wenn Freunde von Starrett zu Besuch kamen, antwortete die Tochter den Freunden, dass ihr Vater oben sei und mit seinen Büchern spielt. Nach seinem Tod im Jahr 1974 fertigte die Tochter einen Grabstein an mit der Inschrift: „The Last Bookman“ (siehe Foto).

Das Buch The Private Life of Sherlock Holmes ist jedoch nicht Vincent Starrett’s erste Bemühung im Bereich Sherlock Holmes. Im Jahr 1920 schrieb und veröffentlichte Vincent Starrett einen Pastiche, der bei vielen Sherlockianern als der beste Pastiche zählt, der jemals geschrieben wurde: The Unique Hamlet: A Hitherto Unchronicled Adventure of Mr. Sherlock Holmes. Wie der Titel bereits verrät, dreht sich in dieser Kurzgeschichte alles um das Drama Hamlet von William Shakespeare bzw. um eine besondere Buch-Edition des Meisterwerks Hamlet.

Inhaltsangabe “The Unique Hamlet”

Ein aufgewühlter, verzweifelter Mann kommt zur Baker Street 221B. Es ist Frühling und eine frische Brise umhüllt diesen neuen Klienten. Von der gewohnten Position am Fenster schaut Sherlock Holmes auf die Straße und schlussfolgert, dass dieser Mann ein Sammler von seltenen Büchern ist. Nachdem er eingetreten ist, muss der Klient sich gar nicht mit Namen vorstellen, sondern Holmes erschließt von (offensichtlichen) Fakten, dass es sich um Mr. Harrington Edwards handelt, einem Sammler von Poke Stogis Manor. Er fällt in Ohnmacht und muss mit dem gewohnten Heilmittel Brandy wieder fit gemacht werden. Dann erzählt Edwards seine tragische Geschichte.

Sherlock Holmes soll Edwards helfen eine wahre Rarität unter Shakespeare-Büchersammlern zu finden, welche unter mysteriösen Umstanden verloren gegangen ist. Dabei handelt es sich um das Meisterwerk Shakespeares: The Tragical History of Hamlet, Prince of Denmark. Es handelt sich dabei nicht nur um ein bedeutendes Werk Shakespeares, sondern ebenfalls um ein First Folio von 1602, die zusätzlich mit Shakespeares eigener Handschrift signiert wurde („That is the book I borrowed, and that is the book I lost!“). Das größte Drama Shakespeares in einer Edition, die sogar ein Jahr früher 1602 datiert ist, als eigentlich angenommen (Hamlet wurde 1603 veröffentlicht; diese Edition in der Kurzgeschichte 1602). Diese Edition ist eingebunden in braunem, marokkanischem Leder, mit goldenen Verzierungen und ist mit 87 wertvollen Edelsteinen dekoriert. Alles zu schön, um wahr zu sein („Priceless!“).

Harrington Edwards ist aber nicht der Besitzer dieser Edition, sondern durfte sich diese lediglich von seinem Freund Sir Nathaniel Brooke-Bannerman ausleihen. Er darf den Hamlet mit nach Hause nehmen und solange behalten wie er möchte. Die Verantwortung und der einhergehende Verlust ist zu viel für Edwards, der anschließend den weiteren Tathergang schildert. Nathaniel Brooke-Bannerman stellte Edwards zwei Beschützer zur Verfügung, die ihn sicher nach Hause begleiten sollten. Der eine Beschützer mit vollem Bart, groß und stämmig sagte kein einziges Wort, während der andere frisch rasiert, klein und sehr vertrauenswürdig zu seien schien. Edwards kannte diesen zweiten Beschützer. Er hieß Miles. Beide Beschützer attackierten Edwards, nahmen ihm diese Rarität ab und rannten hinfort. Ein wundervoller Fall für Mr. Sherlock Holmes!

Mithilfe seiner gängigen Techniken und seinem Wissen von Fußabdrücken geht er die Strecke von Nathaniels Haus zu Edwards Haus mit Watson ab und rekonstruiert so den Tathergang. Er findet Spuren, die zu Edwards Haus führen. Er weiß nun alle Fakten und lässt den Leser noch im Dunkeln. Sherlock Holmes bittet Nathaniel Brooke-Bannerman zu Edwards Haus und berichtet ihm alle Fakten.

Der für Edwards unbekannte Beschützer war der Besitzer, Nathaniel Brooke-Bannerman, selbst! Er ist zu Edwards Haus gegangen, um absichtlich falsche Spuren zu legen, um so Holmes auf die falsche Fährte zu führen. Die überaus wertvolle First-Edition von Hamlet aus  dem Jahr 1602 war eine Fälschung, die von Nathaniel mit 100,000 ₤ versichert war. Die Edition war aber keine komplette Fälschung, sondern eine Edition, die aus zwei nicht-perfekten Editionen aus dem Jahre 1604 gemacht wurde. Die Inschrift war natürlich gefälscht. Das Beweisstück der gefälschten Edition wurde in Edwards Ofen verbrannt. Dieser Vorfall soll unter den Büchersammlern geheim bleiben und so getan werden, als ob nichts geschehen ist.

Erläuterungen

Die Kurzgeschichte The Unique Hamlet von Vincent Starrett zeigt klare autobiografische Züge zu Mr. Harrington Edwards. Nicht nur, dass Edwards leidenschaftlicher Büchersammler seltener Editionen ist, gibt es einige Anspielungen in der Kurzgeschichte. Die Kurzgeschichte beschreibt den Wunsch nach den seltensten Büchern und den Traum jedes Büchersammlers. Ob es sich nun dabei um eine First-Edition von Shakespeares Hamlet oder einem Strand Magazine handelt, spielt zunächst keine Rolle. Man spürt förmlich den Enthusiasmus, die pure Leidenschaft nach Büchern, den Edwards (Starrett) in dieser Geschichte versprüht. Die langen Beschreibungen des Bandes  und der schmerzliche Verlust dieser Edition machen dies deutlich. Die relativ lange Beschreibung Edwards über seine Person und seinen Verlust des Hamlets stellen die Deduktionen Sherlock Holmes in den Hintergrund. Aufgrund der Kürze der Geschichte, ist die Auflösung des Falls und die Verwendung weniger Personen ein relativ einfach gestrickter Fall, der kaum Überraschungen übrig lässt. Bereits die Vorstellung so einer perfekten Hamlet-Edition, die sogar bereits mit 1602 datiert ist, lässt Zweifel über die Echtheit aufkommen.

Die letzten Worte von Sherlock Holmes zu John Watson beschreiben die autobiografischen Züge mit einem ironischen Unterton: „They are strange people, these book collectors. Dieser ironische Unterton, zusammen mit dem Leben Vincent Starretts, machen die Kurzgeschichte zu einem kurzen, aber durchaus unterhaltsamen Sherlock-Holmes-Erlebnis. Der Schreibstil ist nahe am Original, zahlreiche Facetten von Sherlock Holmes werden getreu eingebaut (Morgenmantel, Persian Slipper, „Elementary“, Erzählweise etc.) und die Leser bis zum Schluss im Dunkeln gelassen. Auch das Thema Shakespeare und dieser unvorstellbaren First-Edition ist eine passende und gelungene Einbindung (persönliches Interesse von mir).

Die Anspielung zum Ende der Kurzgeschichte über Nathaniel Brooke-Bannerman zielt auf ein Problem enthusiastischer Büchersammler ab: Der Gefahr einer Fälschung! Die Namen, die Sherlock Holmes allesamt am Ende der Kurzgeschichte aufzählt (siehe Zitate-Box 2), waren Fälscher verschiedener Bücher: Thomas Chatterton (1752-1770; Selbstmord), William Henry Ireland (1775-1835; Shakespeare Fälscher) und John Payne Collier (1789-1883; Shakespeare Kritiker und Fälscher).

Weiter geht’s in Teil 2!


Quellen:


Weitere Artikel aus dem Baker Street Chronicle findet ihr hier auf meinem Blog.






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