Es ist eine der bekanntesten Sherlock-Holmes-Abenteuer von allen: The Hound of the Baskervilles. Doch was ist, wenn Sherlock Holmes falsch liegt und Stapleton nicht der Mörder ist? Deswegen eröffnet Pierre Bayard den Baskerville erneut und seziert den Fall von Anfang bis Ende. Kann die erneute Öffnung des Falls überzeugen? Und wer ist nach Pierre Bayard nun der Übeltäter?

Inhaltsangabe

Sherlock Holmes Was Wrong: Reopening the Case of The Hound of the Baskervilles, in den folgenden Absätzen als Sherlock Holmes Was Wrong bezeichnet, ist eine alternative Analyse des bekanntesten Falls The Hound of the Baskervilles. Wie auch Sherlock Holmes schon immer sagte: Once you eliminate the impossible, whatever remains, no matter how improbable, must be the truth. Jedoch findet Pierre Bayard, dass Sherlock Holmes in dem Fall des Hounds falsch ist bzw. den Fall falsch gelöst hat.

Sherlocm Holmes Was Wrong teilt sich grundsätzlich in Investigation, Counter-Investigation, Fantasy, und Reality ein. Teile der Kapitel beziehen sich auf Literaturtheorie andere Kapitel beschäftigen sich mit der Anwendung von literarischen Theorien auf den Fall The Hound of the Baskervilles. Dabei beleuchtet und seziert Bayard den Fall in seine Einzelteile und stelle Vergleiche zwischen Doyle’s fiktionaler Welt und der realen Welt her. Bayard stellt dabei seine eigene Lesart vor: detective criticism. Dies soll den Lesern ermöglichen nicht nur die Kriminellen zu entlarven, die wir lieben, sondern auch deren Helden. In diesem Buch jedoch auch den Autor Sir Arthur Conan Doyle.

Bayard benutzt für Sherlock Holmes Was Wrong drei Operatoren, um den Fall erneut zu sezieren: Beobachtungen, Vergleiche und umgekehrte Begründungen (observations, comparison, reasoning backwards). Wie ihr bereits aus dieser Inhaltsangabe herauslesen könnt, geht es in Sherlock Holmes Was Wrong um großes Detailwissen. Und dabei meine ich nicht nur Detailwissen über den Roman selbst, sondern auch über Literaturtheorie.

Einige Blickwinkel anhand von ausgewählten Zitaten

Zunächst der Hinweis: Das letzte Zitat beinhaltet den großen Spoiler des Buches!

Normalerweise habe ich für jede Rezension eine Handvoll von Zitaten mitgeschrieben, die hier nun erläutert werden. Jedoch fiel mir das bei Sherlock Holmes was Wrong besonders schwer, denn das Buch ist äußerst komplex und theoretisch.

Viele Fehltritte von Sherlock Holmes in Abenteuern

„There are two kinds of mistakes: either Holmes is wrong – in his actions or in his reasoning – or he doesn’t arrive at the solution.” (S. 45)

Pierre Bayard ist sehr darauf bezogen, dass Holmes in vielen seiner Abenteuer Fehler unterlaufen sind und Bayard überzeugt ist, dass es in The Hound of the Baskervilles ebenso ist. In A Scandal in Bohemia wird er komplett manipuliert durch Irene Adler, in The Engineer’s Thumb schafft er es nicht die Kriminellen aufzuspüren und in The Five Orange Pips und The Resident Patient lässt er sie sogar entkommen. Also warum soll Holmes nicht auch in der Baskerville-Geschichte falsch liegen? Bayard zieht mehrere Vergleiche (comparisons) zu anderen Abenteuer und zeigt auf, wie häufig Holmes falsch liegt.

Hinweise und Beweise sind von Holmes subjektiv interpretiert

„When a clue is a matter of choice, it is also a matter of interpretation; hence the plurality of possible meanings.“ (S. 50)

Die Beobachtungen (observations) und Deduktionen von Sherlock Holmes sind die Sichtweisen einer Person und sind laut Bayard als subjektiv zu betrachten. Bayard erklärt an dieser Stelle, dass es für eine objektive Betrachtungsweise von Beweisen Statistiken, Forensiken oder wissenschaftliche Ansätze braucht. Was also, wenn Holmes durch seine subjektiven Ermittlungen falsch liegt und Hinweise (clues) falsch interpretiert? Wenn also Holmes die Auswahl von Beweisen falsch interpretiert oder auswählt?

Wer ist verantwortlich für die Morde?

„The choice of a dog as the murder weapon is absurd.“ /// „How would Stapleton, if he had been seen, justify his presence on the moor in the company of a giant dog, coated with phosphorus?“ (S. 95)

Bayard stellt sich ganz klar hinter den Höllenhund und verteidigt Stapleton und den Hund als Mörder und Mordwaffe. Weiterhin stellt sich Bayard die Frage, was man in dem Roman über Stapletons Persönlichkeit und Mordlüste erfährt. Die sind nämlich dann doch sehr dünn und Stapleton bleibt eine unkomplizierte Persönlichkeit bis zum Schluss. Bayard zeigt ebenfalls auf, in wollte der Höllenhund eigentlich gar nicht angreifen wollte. Doch nachdem Holmes und Watson auf das Tier zweimal schossen, ging er in den Angriffmodus über. Was aber wenn die beiden nicht geschossen hätten? In Sherlock Holmes Was Wrong gibt es zahlreiche dieser Gedankenspiele und Vergleiche… Ein weiterer wäre noch z.B. als Charles Baskerville einen Herzinfarkt hat, als er den Höllenhund sieht. Hätte ein teuflischer Höllenhund, der als Mordwaffe von Stapleton eingesetzt wird, nicht den armen Charles zerfleischt als er ihn sieht? Diese Beispiele und noch weitere erläutert Bayard in seiner Analyse.

Fiktionales Buch aber mit realen Gegebenheiten verknüpft?

„It seems if Conan Doyle never really accepted the resurrection of his hero.“ (S. 138)

Ein weiterer längerer Abschnitt in Sherlock Holmes Was Wrong handelt von den realen Gegebenheiten, die zur Erschaffung des Buches geführt haben. Bayard sieht in dem Tod und der Auferstehung von Sherlock Holmes ein weiteres Indiz, warum Sherlock Holmes mit Stapleton falsch liegt. Es ist allgegenwärtig bekannt, dass die Abenteuer (mit einigen Ausnahmen) von Watson geschrieben sind und damit seine inneren Gefühle reflektiert werden. Bayard beschreibt in The Hound of the Baskervilles einen Watson, der mit Conan Doyle verglichen werden kann und seine inneren Gefühle zeigt. Bayard zeigt dabei auf, wie häufig und wie lange eigentlich Holmes in dem Roman in Erscheinung tritt? Richtig, eigentlich erst intensiv am Ende der Geschichte, bei der Aufklärung des Falls. Bayard interpretiert, dieses Phänomen damit, dass Conan Doyle nicht viel mit seinem Meisterdetektiv zu tun haben wollte.

SPOILER /// SPOILER /// SPOILER /// SPOILER /// SPOILER ///

Doch wer ist denn nun den Schuld? Laut Bayard war der Mord von Sir Charles Baskerville in Wahrheit ein Unfall. Wer war in der Kutsche und gab sich als Sherlock Holmes aus? Nach Bayard war es eine Figur aus dem Roman? Von wem bekam eigentlich Sherlock Holmes seine wichtigsten Informationen, um den Fall zu lösen?

„Our information about the recent past and the preparation for murder relies mostly on Beryl.“ (S. 179)

Nach Bayard ist es Beryl, da sie es war, die Stapleton’s Schuld weiter bekräftigt. Sie soll sich laut Bayard selbst gefesselt haben und soll ebenfalls die Person aus der Kutsche gewesen sein. Bayard verweist hier auf die Augen und die Größe von Beryl. Beryls Augen werden als beautiful dark, eager eyes beschrieben, die sich mit der Beschreibung des Fahrers der Kutsche decken: a pair of piercing eyes (vgl. S. 170-171)

Abschlussgedanken

Wie ihr bereits gemerkt habt, scheint Sherlock Holmes Was Wrong kompliziert zu sein und das kann ich auch Tage nach dem Lesen bestätigen. Die erste Hälfte des Buches beschäftigt sich eigentlich mit einer langen Zusammenfassung von The Hound of the Baskervilles, die in Abschnitte seziert wurde. Dann werden mehrere literarische Theorien als Grundlage erklärt, bei der Bayard seine eigene Theorie des detective criticism vorstellt (wobei er auch erläutert, dass er sie bereits in seinen zahlreichen anderen Büchern erfolgreich eingesetzt hat…).

Zunächst bleibt aber das Sherlock Holmes Was Wrong unglaublich komplex aber auch unglaublich kompliziert geschrieben ist. In vielen Strecken ist entweder viel Hintergrundwissen erforderlich (z.B. literarische Theorien über Lesarten) und an vielen Stellen gibt es einfach Zitate aus dem Roman selbst. Also definitiv sollte The Hound of the Baskervilles vorher noch gelesen werden, auch wenn es zahlreiche Zitate gibt.

Auch wenn ich hier nur eine Kurzversion der Lösung präsentiert habe, hat mir die grundsätzliche Erklärung gut gefallen. Jedoch wurde diese Lösung ausschließlich in den letzten Kapiteln The Truth und Nothing but the Truth erklärt. Das macht rund 20-30 Seiten aus. Die restlichen 180 Seiten war in vielen Strecken anstrengend zu lesen, da es sehr theoretisch ist. Trotz der Theorie waren einige Vergleiche zu anderen Abenteuern glaubwürdig und erstaunlich, doch gerade die Erklärung der theoretischen Ansätze langweilig und zäh.

Ich bin mit einer komödiantischen Erwartung an Sherlock Holmes Was Wrong herangegangen, die auf lustiger Weise erläutert, warum Sherlock Holmes falsch liegt. Vorgefunden habe ich eine theoretische Analyse, die in vielen Strecken leider sehr kompliziert war. Schade, denn der grundsätzliche Ansatz, die Vergleiche zum Kanon und die abschließenden Erklärungen waren wirklich gelungen.

Pros/Cons

+ grundsätzlicher Ansatz und Struktur des Buches

+ die Enthüllung am Ende und Vergleiche mit dem Kanon

–  zähe, lange theoretische Kapitel /// Länge des Buches (als Essay wäre es super!)

Eigenvermarktung der Theorie detective criticism und Verweise auf Bayards andere Bücher

einige Vergleiche sind dann doch sehr frei interpretiert ohne glaubwürdige Erklärungen

    

(2 von 5)


Bayard, Pierre. 2008. Sherlock Holmes was wrong. Reopening the Case of the Hound of the Baskervilles. Bloomsbury USA.


Weitere Reviews findest du, wie immer, hier.

 

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