Ein Sherlock Holmes Kommentar? Hört sich zunächst einfach an. Doch schaut man sich die ersten Seiten von A Sherlock Holmes Commentary an, dann gibt es zu jedem Sherlock Holmes Abenteuer Kommentare, Einschätzungen und Erläuterungen. Doch wie nützlich sind die Kommentare von Dakin?
- Titel: A Sherlock Holmes Commentary
- Autor/in: D. Martin Dakin
- Verlag: David & Charles: Newton Abbot
- Erscheinungsjahr: 1974 (Erstausgabe 1972)
- Sprache: Englisch
- Seitenzahl: 320
> Über den Autor
Bei meiner Recherche gab es wenig über den Autor D. Martin Dakin, obwohl er in der Sherlock-Holmes-Szene doch bekannt ist. Auch A Sherlock Holmes Commentary gibt wenig Hinweise.
Geboren 1908, wurde Dakin bereits früh Sherlockianer (oder Holmesianer). Der Amerikaner wuchs in einer Zeit auf, in der Conan Doyle noch lebte. Er konnte somit hautnah den Detektiv und seinen Schöpfer spüren. Mit 7 oder 8 Jahren entdeckte er dann zum ersten Mal Sherlock Holmes. Ungefähr also zwischen The Valley of Fear (1915) und der Kurzgeschichtensammlung His Last Bow (1917).
Auch wenn es finanziell eng war, gönnte sich Dakin die Strand Magazine mit den Kurzgeschichten The Lion’s Mane und Shoscombe Old Place. Er war jedoch kein großer Anhänger von Sherlock-Holmes-Filmen. Die Darstellung durch Arthur Wontner gefiel ihm jedoch ganz gut. 1934 erfuhr er, dass es eine Gesellschaft bzw. einen Club über Sherlock Holmes geben sollte. Er trat der Gesellschaft bei: The Baker Street Irregulars. Auch 1951 trat er einem weiteren Club bei: The Sherlock Holmes Society of London. Als aktives Mitglied verfasste er zahlreiche Artikel und Werke über Sherlock Holmes.
> Weitere Werke des Autors
Nach meinen Recherchen habe ich wenig über weitere Werke von Dakin finden können. Neben A Sherlock Holmes Commentary von 1972 habe ich in meinen Büchern noch folgende Artikel gefunden:
- Dakin, D. Martin. “Reminiscences of an Old Sherlockian,” SHJ, 5, No 1 (Winter 1960), 15-17.
- Dakin, D. Martin. “The Engineer’s Thumb,” The Grand Game Vol. II.
Mit Sicherheit gibt es aber noch viele weitere Artikel. Falls ihr noch weitere Werke oder auch Artikel habt, dann schreibt mir auf jeden Fall gerne.
> Inhaltliche Zusammenfassung (Spoilerfrei)
In dem Vorwort zu A Sherlock Holmes Commentary zeigt Dakin bereits, worin es ihm in seiner Sammlung von Kommentaren ankommt. Er hat nicht alle Kommentare der Sherlock-Holmes-Geschichten gelesen und kann daher nicht garantieren, dass dieses Buch komplett sein wird. Nach seiner Auffassung kann so ein Buch kaum existieren, da jedes Buch eigene Schwerpunkte setzen muss.
A Sherlock Holmes Commentary ist für Dakin eine Hommage an den Klassiker The Annotated Sherlock Holmes von William S. Baring-Gould. Bei Baring-Gould sind die Kurzgeschichten komplett abgedruckt und mit Randnotizen zu sehen. Dakin hat für jede Geschichte eigene Kategorien bzw. Oberbegriffe entwickelt, um so Problematiken, Kontroversen oder auch Unstimmigkeiten im Kanon aufzudecken. Ich werde das später an dem Beispiel von der Kurzgeschichte The Speckled Band näher erläutern.
In A Sherlock Holmes Commentary findet ihr, ähnlich wie in einem Wörterbuch auch Abkürzungen: (L) für long stories, (S) für short stories oder auch (D) für Double Day (eine Sherlock-Holmes-Ausgabe aus Amerika). Insbesondere die Verwendung von spezifischen Ausgaben (gibt auch eine für eine John Murray Ausgabe), kann als Kritik angesehen werden, da wohl nur wenige Sherlockianer genau so eine Ausgabe in der Sammlung haben und somit dann exakt mit den Seitenzahlen arbeiten können.
Ich finde es schwierig A Sherlock Holmes Commentary euch inhaltlich näher zu erläutern, da jedes Abenteuer vertreten ist. Daher werde ich euch anhand der Kurzgeschichte The Speckled Band euch die Struktur und einen Inhalt näher erläutern.
The Speckled Band – beispielhafte Kommentare durch Dakin
Wie bereits erläutert, teilt Dakin die Sherlock-Holmes-Abenteuer in Überschriften und Kategorien ein. Im Falle von The Speckled Band (SPEC) sind dies folgende Überschriften:
- The date
- Dr Grimesby Roylott
- The snake
- The doctors
Allein schon diese einfache Einteilung zeigt wichtige Elemente dieser Kurzgeschichte. Die Verwendung von the date findet ihr häufig bei Dakin, da es häufig Kontroversen bei Sherlockianer bezüglich des Datums der Abenteuer gibt. Hier spricht Dakin, dass SPEC eines der frühesten Abenteuer ist (April 1883) und das allgemein Einigkeit unter den Sherlockianer herrscht, dass die Geschichte am 4. April spielt.
Dakin kritisiert einige Elemente an der Kurzgeschichte SPEC. Gerade diese Kommentare haben mir die Geschichte in einem neuen Licht erscheinen lassen:
- Wie kann es sein, dass es keine Bissspuren bei der Stieftochter Julia gegeben hat?
- Wie konnte Holmes so schnell die Schlange als Swamp Adder identifizieren?
- Wie konnte die Schlange im Safe überleben? Nach Zoologen, so schreibt Dakin, mögen Schlangen keine Milch.
- Wie kann eine Schlange nach Pfeifen/Geräuschen reagieren, wenn Schlangen taub sind? (laut Dakin)
- Wie kann ein Gift so schnell töten? Hier bezieht sich Dakin auf den Tod von Roylott. Ein Gift sollte, laut Dakin, nicht so schnell töten. Dakins Deduktion daraus: Roylott müsste eigentlich noch leben, als Holmes & Watson das Zimmer betreten.
Dies ist nur eine kleine Auswahl an Denkanstößen, die Dakin für die Kurzgeschichte gibt. Dakin gibt z.B. auch noch die Anzahl an Schlangen, die in dem gesamten Kanon genannt, bzw. eingesetzt werden:
- eine Kobra von Mr. Henry Wood (The Crooked Man)
- die wiper von Mr. Sherman, dem Tierhändler (The Sign of Four)
Gerade solche Details und Erläuterungen machen den Großteil des Buches aus. Es sind nicht nur Lexikoneinträge wie z.B. in Tracy’s Encyclopedia, sondern persönliche Kommentare von Dakin. Daraus ergibt sich, dass Dakins Werk zum Lesen absolut geeignet ist, während die Wörterbücher von Tracy, Parker & Co. zum nachschlagen sind.
> Schreibstil & Einordnung
Der Schreibstil von A Sherlock Holmes Commentary lässt sich als locker und einfach bezeichnen. Man merkt hier insbesondere die persönliche Bindung zwischen Dakin und seiner Leidenschaft zu Holmes. Es liest sich auf gar keinen Fall trocken und langweilig wie ein Wörterbuch, da Dakin an vielen Stellen seine eigene Meinung preisgibt und Kontroversen aufdeckt. Natürlich kann man sich der Meinung von Dakin anschließen oder eben auch nicht. Ich habe daher auch in vielen Kommentaren zu diesen Buch auch gelesen, dass einige Meinungen und Ideen auch abwegig seien können und Kontroversen und Unstimmigkeiten im Kanon “überinterpretiert” werden. Dies findet man aber nicht nur A Sherlock Holmes Commentary, sondern in vielen anderen Büchern auch. Für mich als Leser von englischsprachigen Büchern überhaupt kein Problem zu lesen, aber auch für nichttrainierte Leser sollte das Buch gut zu schaffen sein.
A Sherlock Holmes Commentary ist eine absolute Ergänzung zu Werken wie Baring-Gould’s Annotated Sherlock Holmes oder auch Tracy’s Encyclopedia Sherlockiana. Jeder dieser drei Bücher geht auf eine eigene Weise mit dem Sherlock-Holmes-Kanon um:
- Baring-Gould: abgedruckte Geschichten mit Randkommentaren
- Tracy: alphabetisches Lexikon mit Begriffen
- Dakin: umfangreiche Kommentare in Textform
Während dieser Rezension habe ich diese drei Bücher immer wieder angesprochen. Wenn ich zu einem Sherlock-Holmes-Abenteuer mir Details und Kontroversen heraussuchen möchte, dann greife ich eigentlich immer zu diesen drei Büchern. Insbesondere Dakin besticht hier durch seine Details und seinen klaren Meinungen zu jeder Geschichte. Jede Geschichte erhält immer ungefähr 3-4 Seiten (die Romane natürlich mehr Seiten) und alleine schon die Überschriften verraten einem die Kontroversen. Manchmal fragt man sich auch warum Dakin diese Überschrift für eine Geschichte verwendet. Liest man sich den Abschnitt aber durch, dann erhält man häufig neue Denkanstöße. Wer möchte nicht von seinen Lieblingsgeschichten neue Denkanstöße erhalten? Ich für meinen Teil erhalte bei Dakin häufig neue Blickwinkel zu den Kurzgeschichten. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass erfahrene und langjährige Sherlockianer bereits viele Unstimmigkeiten und Kontroversen zu einzelnen Geschichten gehört haben.
Natürlich spiegelt A Sherlock Holmes Commentary die Meinung von Dakin wieder. Das sollte man sich bewusst machen und Beschreibungen und Denkanstöße reflektieren. Das obige Beispiel von SPEC zeigt faszinierende Fragen auf, doch letztendlich ist es natürlich eine fiktive Geschichte. Eine Dramaturgie und Spannung zu einer Geschichte sollte es in einem Sherlock-Holmes-Abenteuer geben. Ein winziger Kritikpunkt könnte noch sein, dass es keinerlei Bilder zur Unterstützung gibt. Nicht unbedingt notwendig, aber doch gerade bei Vergleichen oder Unstimmigkeiten hilfreich.
Auch wenn die Erstausgabe von A Sherlock Holmes Commentary von 1972 ist, ist das Werk von D. Martin Dakin zeitlos. Die Abenteuer sind zeitlos. Die Interpretationen werden nie aufhören und wir erhalten hier von Dakin eine detailversessene Analyse der Geschichten. Die eigenen Kommentare und Meinungen sind aus meiner Sicht insgesamt gut getroffen, auch wenn Dakin manchmal “überinterpretiert”.
Ich glaube ich brauche euch nicht verraten, dass A Sherlock Holmes Commentary ein Must-Have für jeden Sherlockianer ist. Ich habe viele Angebote über eine Taschenbuchausgabe gefunden, aber solange gewartet, bis ich eine gut erhaltene gebundene Ausgabe finden konnte. Wenn ein Buch viel gebraucht wird, dann muss es eine schöne gebundene Ausgabe sein. Auch nicht von der englischen Sprache abschrecken lassen!
> Kurzversion
+ detaillierte Kommentare zu jedem Abenteuer
+neue Denkanstöße und Fragen an die Abenteuer
+ lockere Sprache
– Überinterpretation bei einigen Abenteuern
o keinerlei Bilder zur Unterstützung
> Bewertung
(5 von 5)
> Weitere Empfehlungen
Baring-Gould, William S. 1968. The Annotated Sherlock Holmes Volume I&II. John Murray.
Tracy, Jack. 1987. The Encyclopedia Sherlockiana. Avenel Books.
Cover dient nur zur Ansicht und wurde nicht verändert.